Direkt zum Hauptbereich

Gibt es agile Organisationsberatung?

Ist es möglich, agil zu beraten? Eher nicht. Was aber stattdessen tun?



Zeichnung vom Autor


Alle Menschen, die in irgendeiner, vielleicht auch externen Rolle Teams helfen sollen, ihre Zusammenarbeit agil zu organisieren, stehen täglich vor der pragmatischen Frage: Was tun? Was kann oder muss ich als Spezialist beitragen, um zu helfen? 

Obwohl wir agile Experten uns (vermeintlich) bestens auskennen, kommen wir in erstaunlich viele Situationen, in denen wir (meist im Nachhinein) merken: Was wir konkret am besten tun, ist gar nicht so leicht zu beantworten. Im Gegenteil: Wir liegen - oha! - manchmal ganz schön daneben! Vor allem im aktuellen Geschehen, wenn es hoch hergeht, wenn schnell entschieden wird und bei uns und bei anderen sich der Autopilot aktiviert. Wenn unsere Experten-Meinung abgefragt wird (oder wir zumindest glauben, dass dem so ist). Dann stehen wir schnell mit Antworten und Lösungen parat.

Richtig oder Falsch - Die Beraterfalle

Das ist kein Zufall. Im Gegenteil ist es gelerntes Verhalten, das wir von Kindesbeinen bis hinein ins Berufsleben einüben und verinnerlichen: "Wenn du gefragt wirst, gib möglichst schnell die richtige Antwort! Ansonsten: Mach, was dir gesagt wird!" Folgen wir diesen Anweisungen, werden wir mit guten Noten, Karriere und Folgeaufträgen belohnt: Indem wir zügig richtige, gute Antworten geben, indem wir gemäß unserem Auftrag zielgerichtet beraten. 
 


Im Agilen aber, speziell in der agilen Veränderung, gefährden wir mit diesem beratenden Ansatz das gesamte Vorhaben. Agilität wendet sich deshalb aus Überzeugung und grundsätzlich davon ab. Agilisten haben nämlich die Erfahrung gemacht, dass in einer immer schneller und komplexer werdenden Wettbewerbswelt die Einzelmeinungen von Experten mehr Risiken beinhalten als sie zu einer guten Lösung beitragen. Lösungsfindung - so die Erfahrung der Agilisten - funktioniert viel besser, wenn die Sichtweisen und die Expertise mehrerer Menschen beteiligt werden.

Deshalb lässt Agilität Probleme nicht mehr nur von einzelnen Fachleuten, z.B. Managern oder externen Beratern, sondern erst einmal von den direkt oder indirekt Betroffenen in der Gruppe beschreiben. Also von den Experten ihrer eigenen Arbeit, die sich gut mit den Details auskennen. Auch die Lösungswege werden so erarbeitet. Agilität geht davon aus, dass die Betroffenen dies können und auch wollen - ohne Zutun von außen. Die zwei wichtigsten grundlegenden Prinzipien agiler Zusammenarbeit heißen deshalb: "Selbstorganisation" und "Pull statt Push".

Walk your talk

Wenn wir agilen "Change Agents", die wir gerade im Veränderungsgeschehen eine besondere Vorbildfunktion haben, diese beiden wichtigen Grundsätze nicht leben: Warum sollte es die Organisation tun? Deshalb ist besonders wichtig, dass wir uns immer wieder selbst daran erinnern, was unsere Aufgabe ist: Hilfe zur agilen Selbsthilfe zu geben. Die Beraterrolle, die vorsieht, Menschen von einer Außenwarte aus zu sagen, was richtig oder falsch ist, ist hierbei hinderlich. Zielführender als Ratschläge zu geben (inklusive der gut gemeinten) ist vielmehr, ungeklärte, problematische oder verbesserungswürdigere Zustände in der Runde sichtbar zu machen (durch fragen, fragen, fragen). Um danach den Teams den Raum und die Möglichkeit zu geben, gute, für die Gruppe passende Antworten und Lösungen zu finden.

Weil dazu natürlich auch manchmal notwendig ist, agiles oder sonstiges Fachwissen sowie konkrete Hinweise in die Gruppe zu tragen, ist dieser Prozess eine Gratwanderung zwischen eher beratenden, coachenden oder sonstigen Ansätzen, die immer wieder aufs Neue auszuloten ist. Also sind wir auch immer wieder gehalten, uns achtsam und kritisch zu prüfen: Sind wir gerade dabei, mit Beraterhaltung zu hantieren und Ratschläge zu erteilen und so im Endeffekt das agile Projekt zu torpedieren? Oder agieren wir wirklich agil, also begleitend und indem wir auf den Teamprozess vertrauen?

Das klingt anspruchsvoll? Vielleicht. Sicher ist jedenfalls, dass wir wir und unsere Arbeit genau daran gemessen werden.




Edgars eigener Blog: www.trellisterium.de
Edgars Podcast: trellisterium.podbean.com 

Edgar Rodehack ist Teamwork-Enthusiast mit einem Faible für agile Formen der Zusammenarbeit. Da trifft es sich natürlich gut, dass er das beruflich macht. Er ist Organisationsberater, Business und Agile Coach, Teamentwickler und Moderator. Außerdem ist er ein Mensch mit Frau und drei Kindern, der viel Spaß am Musikmachen, Schreiben und Lesen hat. Mehr über ihn: www.rodehack.de


Literatur & Links

  • Adkins, Lyssa: Coaching Agile Teams. A Companion for ScrumMasters, Agile Coaches, and Project Managers in Transition. Boston, 2010.
  • Appelo, Jurgen: How to Change the World. Rotterdam, 2012.
  • Pink, Daniel: Drive. The Surprising Truth About What Motivates Us. New York, 2011
  • Sutherland, Jeff: Scrum. The Art of Doing Twice the Work in Half the Time, New York, 2014


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Microsoft Teams: Die neuen Besprechungsnotizen - Loop-Komponenten

  Haben Sie in letzter Zeit in einer Teams-Besprechung die Notizen geöffnet? Dort sind inzwischen die Loop-Komponenten hinterlegt. Die sind zwar etwas nützlicher als das, was zuvor zur Verfügung stand. Trotzdem ist noch Luft nach oben. Und es gibt sogar einige ernstzunehmende Stolperfallen. Hier ein erster, kritischer Blick auf das was Sie damit tun können. Und auch darauf, was Sie besser sein lassen.

Agile Sternbilder: Die Entdeckung kosmischer Agilitäts-Superkräfte

Hast du dich je gefragt, ob dein Sternzeichen deine Fähigkeiten in einer agilen Arbeitsumgebung beeinflusst? In diesem Blogpost tauchen wir ein in die faszinierende Welt der Astrologie und ihre mögliche Verbindung zu modernen Arbeitsweisen. Entdecke, wie die Sterne deine agilen Stärken prägen könnten. Ob überzeugter Agilist oder neugieriger Sternzeichenliebhaber – dieser Artikel kann dir neue Perspektiven eröffnen und vielleicht sogar dein nächstes Teamprojekt inspirieren!

Den passenden Job finden

Hier teile ich, wie ich daran arbeite, endlich den richtigen Job zu finden. Kleingedrucktes: Dieser Artikel richtet sich (natürlich) an jene, die gerade in der luxuriösen Position sind, dass sie nicht jedes Angebot annehmen müssen. Anstatt von Engagement zu Engagement zu hetzen und frustriert zu sein über Konzernstrukturen, fehlende Ausrichtung und die Erkenntnis, dass in einem selbst beständig die Hintergrundfrage nagt, ob es das ist, womit man seine immer knapper werdende Lebenszeit wirklich verbringen möchte, gibt es manchmal auch die Möglichkeit, die nächste berufliche Station etwas nachhaltiger auszusuchen - auch, um tatsächlich (etwas) mehr beitragen zu können.

Die Microsoft Teams-Not-To-Do-Liste

Viele hoffen, dass es  für die Einrichtung von Microsoft Teams  den Königsweg gibt, den perfekten Plan – doch den gibt es leider (oder glücklicherweise?) nicht. Genauso wenig, wie es jemals einen Masterplan für die Organisation von Gruppenlaufwerken gab, gibt oder je geben wird. Was gut und vernünftig ist hängt von vielen Faktoren und ganz besonders den Unternehmensprozessen ab. Sicher ist nur eines: Von alleine entsteht keine vernünftige Struktur und schon gar keine Ordnung. Dafür braucht es klare Entscheidungen.

Agilität ist tot. Ausgerechnet jetzt?

Agilität wird zurückgefahren, Hierarchien kehren zurück. Doch ist das wirklich der richtige Weg in einer Welt, die immer unberechenbarer wird? Oder erleben wir gerade eine riskante Rolle rückwärts?

Wie beschreibt man einen Workshop für eine Konferenz?

Konferenzen bieten immer ein gutes Forum, um sein Wissen und seine Erfahrungen zu teilen. Was für die Vortragenden selbstverständlich scheint, ist für die Besucher:innen oft unverständlich. Wie können Vortragende ihren Workshop in 2-3 Sätzen beschreiben, damit die Besucher:innen schnell einschätzen können, er sich für sie lohnt?

Gemeinsam eine Anwenderdokumentation erstellen

Unternehmenssoftware ist ein wichtiges Bindeglied zwischen Anwenderinnen und Anwendern, den Unternehmensprozessen und den Ergebnissen. Normalerweise schreibt der Hersteller der Software die Dokumentation für diejenigen, die die Software benutzen. Wenn die Software allerdings stark angepasst wurde, muss die Dokumentation von denen kommen, die die Prozessmaschine am besten verstehen - den Anwenderinnen und Anwendern. Wie könnte man das praktisch machen?

Scrum und Hardware: Es kommt auf die Basics an

Man kann Hardwareprodukte agil entwickeln. Zum einen kommt Scrum aus der Hardwareentwicklung. Die Softwerker haben die Hardwarekonzepte auf ihre Situation übertragen. Zum anderen hat Hardwareentwicklung heute ganz viel mit Software zu tun. Gerade in frühen Phasen kann man sich mit Simulationen noch viele Wege offen halten und mehrere Pfade parallel verfolgen. In diesem Beitrag empfehle ich eine Podcastfolge und ein Buch, für alle, die mit der Geschwindigkeit ihrer Hardwareentwicklung nicht zufrieden sind.