Direkt zum Hauptbereich

Was bedeutet agiles Arbeiten in der öffentlichen Verwaltung?

Das Interesse an agilen Methoden wächst und verbreitet sich wie ein Ölfleck. Aus dem engen Umkreis, in dem die Agilität entstanden ist - die IT-Industrie und hier besonders die Softwareentwicklung - bricht sie aus und macht sich auf in die Welt. Eine Ausnahme macht nach wie vor die öffentliche Verwaltung. Hier ist Agilität so gut wie unbekannt. Das hat seine Gründe. Denn hier ist Phantasie gefragt: Die Übertragung agiler Prinzipien geht nicht ohne gründliches Nachdenken und wird viel Experimentieren erfordern.

Wenn eine Idee ihre Herkunftsnische verlässt, muss sie ihre Gestalt ändern. Als die ersten Fische sich aufmachten, die feste Erde zu erobern, wurden aus ihren Flossen Beine. Später wurden aus den Beinen Flügel und das Ergebnis nannte sich Vogel. Damit war die Dreidimensionalität der Bewegung, die beim Schritt vom Wasser ans Land verloren gegangen war, wieder hergestellt.

Jede Branche braucht ihre eigene Form von Agilität

Die Grundprinzipien der Agilität - schnelles Kundenfeedback und cross-funktionale Teams - sind ohne allzu große Mühe auf einige anderen Industrien übertragbar. Zum Beispiel in allen Branchen, die es mit ständiger Produktentwicklung zu tun haben. Vor allem dann, wenn das fixe Kapital relativ gering ist, wie im Sondermaschinenbau. In anderen Bereichen, wie im Industriebau, ist es hingegen gar nicht so einfach - aber die Hürden sind trotzdem überwindbar.

Schon diese Beispiele zeigen, dass die Agilisierung von Unternehmen in jeder Branche selbst nach agilen Prinzipien vorgehen muss: durch Hypothesenbildung und Experiment. Es gibt Scrum-Gläubige, die meinen, das agile Manifest und der Scrum-Guide erledigten jede denkbare Frage. Sie stehen dieser Aufgabe der agilen Umgestaltung anderer Branchen genauso im Wege wie die "Technokraten". Die preisen die agilen Methoden als wertneutralen Werkzeugkasten an, aus dem sich die Unternehmen munter bedienen können. Da werden dann unterschiedslos (angeblich) selbstorganisierte Teams mit der Beibehaltung von Zielvereinbarungsgesprächen gemixt.

In der öffentlichen Verwaltung /1/ sind die Herausforderungen besonders groß. Es gibt keine einzige Gemeinde in Deutschland, die sich "agil" nennt. Woran mag das liegen?

Hierzu zwei Überlegungen.

Einwohner sind keine Kunden

Die "Abnehmer" der Verwaltungsleistungen stehen hierarchisch "unter" den Leistungserbringern. Im Gegensatz zur Wirtschaft, wo der Kunde "König" ist, weil er das Geld hat. Die Einwohner hingegen, die Leistungen von der Kommunalverwaltung erhalten, stehen als "Rechtsunterworfene" der Verwaltung nicht auf Augenhöhe gegenüber. Oft sind sie nicht einmal Bürger und haben keine Stimme bei den örtlichen Wahlen.

Agile Verhaltensweisen beruhen immer auf Einbeziehung aller "Stakeholder" in die Lösungsfindung von Problemen. Das gestaltet sich schon bei Unternehmen schwierig, obwohl diese ein Eigeninteresse an Kundenfeedback haben. Bei Verwaltungen muss (müsste) der Mangel an direkten Anreizen durch ein höheres Maß an Verantwortungsbewusstsein ausgeglichen werden.

Vielleicht ist es aber auch Teil der "Agilisierung" der Verwaltung, solche Anreize zu schaffen: durch mehr direkte Einflussmöglichkeiten der Einwohner wie z. B. Bürgerhaushalt und Ombudsleute.

Verwaltungen haben sich selbst entmachtet

Die neoliberale Ideologie, die sich seit Mitte der 1980er Jahre auch in Deutschland stark verbreitet hat, propagiert den "schwachen Staat". Den Vorstellungen der "sozialen Markwirtschaft" und den Theorien der Ordoliberalen um Walter Eucken wurde eine ganz grundsätzliche Absage erteilt: der Markt richtet alles am besten, er bedarf keiner Rahmensetzung und Korrektureingriffe durch den Staat.

Die öffentlichen Verwaltungen haben sich teilweise von der Vorstellung der aktiven Gestaltung des öffentlichen Raums verabschiedet und sich auf Minimalaufgaben zurückgezogen. Die Förderung der Schwachen, die Unterstützung der vielfältigen Gewebe der Zivilgesellschaft gilt als unfein.

Aufgaben des "Forums Agile Verwaltung"

Es gibt also viel zu tun. Erfahrungen guter Beispiel müssen gesammelt und ausgewertet werden.

Dazu wurde am 11. Februar 2016 in Karlsruhe das Forum Agile Verwaltung aus der Taufe gehoben. Am Anfang waren wir sechs Praktiker aus  der Verwaltung (Kommunale und Bundesverwaltung) sowie aus verwaltungsorientierten Dienstleistungsunternehmen. Heute, 29. Februar, sind wir schon ein paar mehr.

Wir haben uns zum Ziel gesetzt, die Kultur der Agilität in die Verwaltung zu tragen. Dazu wollen wir ein Netzwerk von Praktikern zur praktischen gegenseitigen Unterstützung werden; also ein Internet-Forum, in das man Fragen hineinrufen kann und Antworten erhält. Und ein Forum im klassischen Sinne, ein Marktplatz der Begegnungen, auf  dem man auch physisch sich trifft und Erfahrungen und Standpunkte tauscht.

Wer sich dafür interessiert, findet uns unter www.agile-verwaltung.org. Dort findet ihr zum Beispiel einen Bericht über Ängelholm, die "erste agile Kommune Schwedens".

Anmerkungen
/1/ Dazu möchten wir hier nicht nur die Kommunalverwaltung, sondern auch die staatliche und die Kirchenverwaltungen zählen. Also alle Organisationen, die von ihren "Kunden" nicht bezahlt werden, sondern diesen mit Macht ausgestattet gegenübertreten.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Wie lassen sich Ergebnisse definieren? - Drei Beispiele (WBS, CBP und BDN)

Ich habe schon darüber geschrieben, warum das Definieren von Ergebnissen so wichtig ist. Es lenkt die Aufmerksamkeit des Projektteams auf die eigentlichen Ziele. Aber was sind eigentlich Projektergebnisse? In diesem Beitrag stelle ich drei Methoden vor, um leichter an Ergebnisse zu kommen.

Microsoft Teams: Die neuen Besprechungsnotizen - Loop-Komponenten

  Haben Sie in letzter Zeit in einer Teams-Besprechung die Notizen geöffnet? Dort sind inzwischen die Loop-Komponenten hinterlegt. Die sind zwar etwas nützlicher als das, was zuvor zur Verfügung stand. Trotzdem ist noch Luft nach oben. Und es gibt sogar einige ernstzunehmende Stolperfallen. Hier ein erster, kritischer Blick auf das was Sie damit tun können. Und auch darauf, was Sie besser sein lassen.

Wie Agilität den Kundennutzen steigert - Einige Argumente für Berater:innen

In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit fragen sich viele, ob agile Beratung noch eine Zukunft hat. Die Antwort liegt in der konsequenten Orientierung am Kundennutzen. Qualität setzt sich durch, wenn sie messbare Verbesserungen bei Umsatz, Kosten und Leistungsfähigkeit bewirkt, anstatt sich in Methoden und zirkulären Fragen zu verlieren. Dieser Artikel zeigt, wie agile Beratung nachhaltige Veränderungen in Unternehmen schafft und warum gerade jetzt gute Berater:innen gebraucht werden, um Organisationen widerstandsfähiger zu machen.

Warum eine Agile Transformation keine Reise ist

Die agile Transformation wird oft als eine Reise beschrieben. Doch dieser Vergleich kann viele Unternehmen in die Irre führen oder Bilder von unpassenden Vergleichen erzeugen. Transformationen sind keine linearen Prozesse mit einem klaren Ziel, sondern komplexe und dynamische Entwicklungen. Dieser Artikel zeigt, warum Agilität kein Weg mit einem festen Endpunkt ist.

Kleine Organisationsveränderungen, die direktes Feedback erzeugen

Große Veränderungen sind in einer Organisation schwer zu messen. Oft liegt zwischen Ursache und Wirkung ein langer Zeitraum, sodass die Umsetzer:innen nicht wissen, was genau gewirkt hat. Hier ist eine Liste mit kleinen Maßnahmen, die schnell etwas zurückmelden.

Agile Leadership – Führst du noch oder dienst du schon?

Die Arbeitswelt verändert sich. Und das spüren nicht nur Führungskräfte, sondern vor allem Mitarbeitende. Immer mehr Menschen hinterfragen den Sinn ihrer Arbeit, erwarten Respekt, Vertrauen und eine Unternehmenskultur, die echte Zusammenarbeit ermöglicht. Studien wie die Gallup-Studie 2025 oder die EY-Jobstudie zeigen: Der Frust am Arbeitsplatz wächst – und mit ihm die Unzufriedenheit mit der Führung. Höchste Zeit, umzudenken. Genau hier setzt agile Führung an. 1. Warum agile Führung heute entscheidend ist  Klassische Führung – hierarchisch, kontrollierend, top-down – funktioniert immer weniger. Die Zahlen sind eindeutig:  Laut Gallup fühlen sich nur noch 45 % der deutschen Beschäftigten mit ihrem Leben zufrieden. Fast jede dritte Kündigung erfolgt wegen der Führungskraft. Nicht das Gehalt, sondern mangelnde Wertschätzung, fehlendes Vertrauen und ein schlechtes Arbeitsumfeld treiben Menschen aus Unternehmen.  Agile Führung bietet eine Alternative, die auf Vertrauen, Selbs...

Ent-Spannen statt Platzen: Erste Hilfe für mehr Vertrauen und Resilienz im Team

Zwei Themen die mir in den letzten Wochen immer wieder über den Weg laufen sind Vertrauen und Resilienz. Vertrauen als das Fundament für gemeinsame Zusammenarbeit und Resilienz als die Fähigkeit, Herausforderungen, Stress und Rückschläge zu bewältigen und gestärkt daraus hervorzugehen.  In dem Blogpost möchte ich ein paar Erste-Hilfe Interventionen teilen, die zu mehr Vertrauen und Resilienz im Team führen können - gerade wenn die Emotionen hochkochen und es heiss her geht im Team. Die „Mist-Runde“: Ärger Raum geben. In konfliktbeladenen oder belasteten Teams kann es eine große Herausforderung sein, eine offene Kommunikation und ein respektvolles Miteinander zu fördern. Eine einfache, aber äußerst effektive Methode, um Spannungen abzubauen, ist die „Mist-Runde“ . Diese Intervention, die ich zuerst bei Veronika Jungwirth und Ralph Miarka kennengelernt habe, gibt den Teilnehmern einen geschützten Raum, in dem sie ihre Frustrationen und negativen Gedanken ohne Zensur äußern können un...

Microsoft Lists: mit Forms und Power Apps komfortabel mobil arbeiten

In meinem Kundenkreis sind viele Menschen, die den Arbeitsalltag nicht vorwiegend auf dem Bürostuhl sitzend verbringen, sondern "draußen" unterwegs sind. Vielleicht in Werkstätten oder im Facility-Management. Es ist so wichtig, dass die Schnittstellen zu den Abläufen im Büro gut abgestimmt sind. Microsoft 365 hat so einiges im Baukasten, man muss es nur finden und nutzen.  In diesem Artikel spiele ich ein Szenario durch, das auf Microsoft Lists, Forms und - für die Ambitionierteren - Power Apps setzt.

Selbstbewertungsfragen für den Alltag in Arbeitsgruppen aus Sicht von Mitarbeitenden

Welche Fragen können wir Mitarbeiter:innen stellen, um herauszufinden, ob agiles Arbeiten wirkt? Es gibt bereits eine Menge an Fragebögen. Aber ich bin nicht immer zufrieden damit.