Direkt zum Hauptbereich

Projekt Agile Verwaltung (Teil 1): Gibt es dafür einen Bedarf?

Thomas Michl, der Herausgeber von "Tom’s Gedankenblog", hat die Idee publiziert: Wie wäre es, wenn mir mal eben die öffentliche Verwaltung agilisieren würden? /1/ Wir halten den Vorschlag von Tom grundsätzlich für eine gute Idee. Deshalb beteiligen wir vom Teamworkblog uns gerne an der Diskussion. Einige von uns haben selbst eine Lebensschleife in der öffentlichen Verwaltung gedreht. Aus dieser Zeit haben sich noch einige Ideen in unseren Köpfen eingenistet, die wir gerne wieder aus ihren Nischen herausholen möchten.

Braucht die öffentliche Verwaltung eine besondere Betrachtung?


Gibt es überhaupt Unterschiede zwischen öffentlichen Verwaltungen /2/ und Unternehmen der Privatwirtschaft? Ist davon auszugehen, dass es einen „besonderen Weg“ der Kommunalbehörden in Richtung Agilisierung geben muss?

Eines ist zumindest auffällig: In den beiden wichtigen Büchern, die in diesem Herbst zum Thema „Demokratisierung von Organisationen“ erschienen sind, und von denen eines sogar zum „Managementbuch des Jahres“ erkoren wurde, werden viele Beispiele von Unternehmen zitiert – kein einziges aus dem Öffentlichen Sektor. /3/ Dies liefert einen ersten Anhaltspunkt, dass die öffentliche Verwaltung einen besonderen Fall darstellt.

Ich versuche mal ein paar Thesen aus meiner eingeschränkten Erfahrung: /4/

  1. Der Handlungsspielraum einer Kommune ist begrenzt. Sie hat wenig Einfluss auf ihre Einnahmen. Während Unternehmen eine aktive Preispolitik betreiben können, haben deutsche Kommunen nur ein sehr eingeschränktes Steuerheberecht. Sie können im Wesentlichen die Hebesätze von Gewerbe- und Grundsteuer festlegen, aber keine Steuergestaltung betreiben oder gar eigene Steuern einführen. Im Unterschied z. B. zu Schweiz und USA. Eine Folge davon ist die chronische Unterfinanzierung großer Teile der kommunalen Gebietskörperschaften, allerdings regional sehr unterschiedlich verteilt.

  2. Auch die Aufgaben sind den Gemeinden zum großen Teil vorgeschrieben. Der Anteil der freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben geht gegenüber den übertragenen und den Pflichtaufgaben tendenziell zurück. Während ein Unternehmen unprofitable Bereiche einfach einstellen kann, darf eine Gemeinde nicht mal schnell die Meldebehörde schließen, weil sie zu viel kostet.

  3. Die Aufgabenstruktur der Gemeinden ist sehr kleinteilig. Ein Landratsamt mit 1.000 Mitarbeitern erbringt rund 300 – 400 verschiedene Leistungen („Produkte“), von Kfz-Zulassungen, Führerscheinummeldungen, Baugenehmigungen, Jagdscheinen bis zu Sprengstoffgutachten. Ein mittelständisches Unternehmen gleicher Größe produziert vielleicht zwei bis fünf Kernprodukte. Deshalb ist die Optimierung der kommunalen Prozesse besonders schwierig, die Softwarelandschaft extrem unübersichtlich (eine mittlere Behörde hat oft 100 – 150 ERP-Programme im Einsatz).

  4. Das Arbeitsrecht ist im öffentlichen Dienst ein anderes. Für die Mitarbeiter besteht ein besonderer Kündigungsschutz, die Einsortierung in Vergütungsgruppen ist stark reglementiert und ein Personalrat hat andere Rechte als ein Betriebsrat. Die obersten Führungen von Kommunalverwaltungen sehen das eher als Handicap an, weil z. B. Entlassungen von leistungsgeminderten oder sich leistungs-mindernden Mitarbeitern nicht einfach sind.

Am Montag: Gibt es eine besondere Verwaltungskultur?

Anmerkungen

/1/ https://tomsgedankenblog.wordpress.com/2015/10/14/gedankenblitz-selbstorganisation-und-partizipation-als-teil-einer-agilen-kommunalverwaltung/
/2/ Ich beziehe mich im Folgenden ausschließlich um kommunale Verwaltungen, also Gemeinden, Städte und Landkreise. Landes- und Bundesbehörden müssen zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal gesondert betrachtet werden.
/3/ Andreas Zeuch: Alle Macht für niemand. Aufbruch der Unternehmensdemokraten; Murmann Publishers, 2015, ISBN 978-3-86774-475-1;
Thomas Sattelberger, Isabell Welpe, Andreas Boes: Das demokratische Unternehmen. Neue Arbeits- und Führungskulturen im Zeitalter digitaler Wirtschaft, Haufe Gruppe, 2015. ISBN der Print-Ausgabe: 978-3-648-07434-3.
/4/ Ich war 13 Jahre lang, von 1995 bis 2008, Leiter des Sachgebiets „Organisation und Controlling“ eines Landratsamtes mittlerer Größe (1.050 Mitarbeiter). Daraus habe ich einige Einblicke in die Gedankenwelt der Verwaltungsmodernisierung gewonnen, insbesondere auch durch Besuch vieler Kongresse und Zusammenarbeit mit der KGSt. Aber der Erfahrungshorizont ist natürlich sehr eingeschränkt.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Wie lassen sich Ergebnisse definieren? - Drei Beispiele (WBS, CBP und BDN)

Ich habe schon darüber geschrieben, warum das Definieren von Ergebnissen so wichtig ist. Es lenkt die Aufmerksamkeit des Projektteams auf die eigentlichen Ziele. Aber was sind eigentlich Projektergebnisse? In diesem Beitrag stelle ich drei Methoden vor, um leichter an Ergebnisse zu kommen.

Microsoft Teams: Die neuen Besprechungsnotizen - Loop-Komponenten

  Haben Sie in letzter Zeit in einer Teams-Besprechung die Notizen geöffnet? Dort sind inzwischen die Loop-Komponenten hinterlegt. Die sind zwar etwas nützlicher als das, was zuvor zur Verfügung stand. Trotzdem ist noch Luft nach oben. Und es gibt sogar einige ernstzunehmende Stolperfallen. Hier ein erster, kritischer Blick auf das was Sie damit tun können. Und auch darauf, was Sie besser sein lassen.

Microsoft Copilot - Notebook, Pages, Agents und mehr

Es tut sich sehr viel an der Copilot Front. Gefühlt entwickelt Microsoft mit aller Kraft die KI-Anwendung weiter. Mit dem letzten Update hat sich die Microsoft-Startseite stark verändert. Hier zeige ich, was sich hinter all den Begrifflichkeiten verbirgt und was davon alltagstauglich ist.

Erfahrung mit Vibe-Coding - und warum das keine Teamprobleme löst

Die KI-Werkzeuge zum Erstellen von Werkzeugen für die tägliche Arbeit werden immer besser. Die selbstgestrickten Tools erleichtern die eigene Arbeit. Aber für den Einsatz im Team fehlt noch etwas.

Schätzungen sind schätzungsweise überschätzte Schätze

"Wer viel misst, misst viel Mist." Zumindest ist diese Gefahr gegeben. Entweder misst man z. B. Mist, weil man zu früh zu KPIs zur Messung von Ergebnissen greift, oder aber man greift zu den falschen KPIs, die gar nicht das messen, was man wissen möchte. Einst war agiles Arbeiten der alternative Ansatz, aber inzwischen gibt es auch für einige Details dessen, was in Konzernen als "agil" praktiziert wird, einleuchtende alternative Ideen, die bis heute noch nicht so richtig auf die große Bühne vorgedrungen zu sein scheinen. 

Wenn Leisten Leistung kostet

Immer. Immer "on". Immer mehr. Immer schneller. Und natürlich: Immer besser. Das ist die Welt, in der wir heute leben. Eine Welt der Dauerleistung. Und die hat ihren Preis: Wir werden schwächer. Sofern wir nicht die Grundlagen guten (Selbst-)Managements beherzigen und Pausen machen. Also zur richten Zeit das wirklich Wichtige tun.

A shared file storage is not a library

In over 90% of cases where we advise organizations on filing systems, we find that they are organized by topic. This system quickly leads to chaos because outdated documents are not disposed of quickly enough. So why does everyone think to structure their filing system by topic? I believe we have the wrong idea.

From False Starts to Precision Landing: The Evolution of Requirements Management

Requirements management originated in U.S. rocket programs between 1945 and 1970. A small management trick contributed to the success of the Apollo program.

Wenn es mal gerade etwas schwierig bei Kund:innen wird… Zwei Fragen, die uns helfen, unsere Strategie mit unseren Kund:innen abzusprechen.

Seit 2024 organisieren Bob Galen und ich eine Masterclass für agile Coaches. Wir möchten die Ausbildung von agilen Coaches verbessern und ihnen Techniken mitgeben, mit denen sie bei ihren Kund:innen etwas einfacher haben. Bisher haben wir in vier Durchgängen mit jeweils 14 Modulen ungefähr 70 Extraordinarily Badass Agile Coaches ausgebildet (/1/). In diesem Blogpost möchte ich ein paar Erfahrungen und simple Techniken aus der Masterclass teilen, wie wir unsere Strategie besser abstimmen können. Sie beschränken sich nicht auf agiles Coaching – das ist nur das Setting.

Wie läuft ein Projekt zum Entwickeln von Szenarien ab?

Seit 2016 beschäftigen Edgar und ich uns intensiv mit der Szenariotechnik. Szenarien sind ein wirkungsvolles Werkzeug, um Projekte oder ganze Geschäftsmodelle auf ihre Zukunftstauglichkeit zu testen.