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Denken in Wahrscheinlichkeiten bringt Vorteile, gilt aber nicht als sexy

Welcher „Entscheider“ lässt sich schon gerne Zaghaftigkeit nachsagen? Schnelle Entscheidungen zu treffen, gilt als mutig und dem unternehmerischen Denken angemessen. Umgekehrt gilt Abwägen mehrerer Optionen als zögerlich und sowieso „viel zu theoretisch“. /1/


Bisher erschienen: Blogpost „Was es bringt, in Wahrscheinlichkeiten zu denken“ vom 30. Dezember 2013, http://www.teamworkblog.de/2013/12/was-es-bringt-in-wahrscheinlichkeiten.html.

Heute geht es um Widerstände, die sich gegen das Denken in Wahrscheinlichkeiten aufbauen können. Auch dies Mal knüpfe ich meine Überlegungen an das Buch von Nate Silver. /2/


Entscheidungen unter Unsicherheit

Wann ist das Denken in Wahrscheinlichkeiten vorteilhaft? Wann ist es vielleicht sogar unumgänglich?
Zum Beispiel, wenn ich eine neue Person kennenlerne und mich frage: „Kann ich mit der oder nicht?“. Aber auch bei der Produktentwicklung („brauchen das die Kunden?“) oder bei Projekten („ist der Zeitplan realistisch?“).
Bleiben wir beim Erstkontakt mit einer fremden Person. Und stellen wir uns vor, es gehe wirklich um eine wichtige Entscheidung, zum Beispiel um die Aufnahme eines neuen Mitarbeiters ins Team. Das ist nicht nur eine Entscheidung unter Unsicherheit. Sondern es kommt noch eine Komplikation hinzu: unsere falsche subjektive Sicherheit.
Malcolm Gladwell hat darauf hingewiesen, dass wir Personen in Sekundenschnelle einschätzen (sogenannte snap judgements), dass diese Urteile aber nicht die Realität wiedergeben. /3/ Denn das Verhalten eines Menschen in einer Situation (Vorstellungsgespräch) sagt fast nichts aus über das Verhalten des gleichen Menschen in einer anderen Situation (Arbeitsumgebung). Wir denken aber, dass es etwas aussagt, und übersetzen situationsspezifisches Verhalten in „Charaktereigenschaften“ einer Person. /4/
Eigentlich wäre es jetzt nötig, von der Technik „Einstellung aufgrund des Verhaltens in einer bestimmten Situation“ (Vorstellungsgespräch oder Assessment Center) abzugehen und Techniken zu entwickeln, die der notwendigen Unsicherheit beim Erstkontakt Rechnung tragen. Also probabilistisch zu denken. Es gibt durchaus solche Techniken, aber sie konnten sich in der Praxis bislang nicht durchsetzen. Warum?

 

Denken in Wahrscheinlichkeiten ist nicht sexy

Oder allgemeiner: Warum ist die probabilistische Denkweise nicht viel weiter verbreitet? Warum denken wir nach wie vor, auch im nicht mehr ganz jungen 21. Jahrhundert, in einfachen Wahrheiten?
Einer der Faktoren mag sein: Weil einfache Wahrheiten uns mehr sozialen Erfolg versprechen.
Silver zitiert die Arbeiten von Philip Tetlock, einem amerikanischen Psychologen und Politologen. /5/

Tetlock hatte in verschiedenen US-amerikanischen Wahlen die Expertenprognosen mit den später wirklich eingetroffenen Wahlergebnissen verglichen. Dabei ergab sich, dass bestimmte Experten erheblich besser abschnitten als andere. Tetlock teilte seine Untersuchungsobjekte in zwei Gruppen ein. Die erste Gruppe, die „Fehlschätzer“, nannte er „Igel“. Silver schreibt dazu: „Igel sind Typ-A-Persönlichkeiten, die an große Ideen glauben, an Prinzipien, denen die Welt gehorcht, als handele es sich um physikalische Gesetze, denen jede Interaktion unterworfen ist.“ (S. 73)
Die andere Gruppe nannte Tetlock „Füchse“. „Sie sind in der Regel Nuancen, Unsicherheiten, Komplexität und abweichenden Ansichten gegenüber aufgeschlossener.“ Der Vorteil der Füchse gegenüber den Igeln: Sie lernen aus Fehlern. Wenn sie eine Fehlprognose machen, dann versuchen sie, es das nächste Mal besser zu machen. Die „Igel“ hingegen versuchen, die Wirklichkeit auf ihre festgezurrten Überzeugungen hin zurechtzubiegen. Sie haben niemals Unrecht, eher noch die Welt. Und wenn sich einmal eines ihrer Prinzipien als völlig unhaltbar erweist, werden sie Anhänger eines neuen Ideologiekonstrukts, genauso glühend wie zuvor.


                                     Bin ich Fuchs oder bin ich Igel? Tetlocks Tabelle hilft.


Die Füchse sind also in Bezug auf ihre objektiven Ergebnisse erfolgreicher. Aber die Igel sind die, die die Talkshows im Fernsehen bevölkern. Ihr entschiedenes Auftreten, ihre klaren Aussagen, ihre Ausstrahlung von Unbeirrbarkeit und Durchsetzungskraft bringt ihnen einen Vertrauensbonus. /6/ Kein „Fuchs“ mit seinem „Ja-wenn-dann-aber“-Gestottere kann da mithalten.
Nicht nur im Fernsehen, möchte man hinzufügen, auch in der Arbeitswelt gilt „Entscheidungsfreude“ als Wert an sich. Welcher Personalchef will sich nicht gern seines „sicheren Händchens“ bei der Personalauswahl rühmen? Also kriegen wir viel zu oft Führungspersönlichkeiten, die sich als „Macher“ gerieren, von keines Gedankens Blässe angekränkelt.



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Anmerkungen

/1/ Vgl. die Killerphrase „Wir brauchen eine pragmatische Lösung“; Blogpost von Jan Fischbach vom 20. August 2013 unter http://www.teamworkblog.de/2013/08/killerphrasen-die-teams-auf-die-palme.html
/2/ Nate Silver: Die Berechnung der Zukunft. Warum die meisten Prognosen falsch sind und manche trotzdem zutreffen; Heyne Verlag, 2013, ISBN 978-3-453-20048-7.
/3/ Malcolm Gladwell: Wha the Dog Saw And Other Adventures; Little, Brown and Company, 2009; ISBN 978-0-316-07620-3. Hier beziehe ich mich auf das Kapitel „What Do Job Interviews Really Tell Us?“, Seiten 375-393 im Buch.
/4/ Was nicht bedeutet, dass es stabile Charaktereigenschaften von Menschen nicht gibt. Aber die können wir nicht in einem snap judgement erfassen. Die Tendenz, vom situativen Kontext einer Verhaltensweise zu abstrahieren und sie gleich als eine kontextunabhängige Eigenschaft eines Menschen zu deuten, ist so tief verwurzelt und so wichtig, dass sie sogar einen Namen erhalten hat: „Fundamental Attribution Error“. Vgl. Gladwell, S. 386-387. – Es ist also nicht nur so, dass uns die Evolution nicht mit der Fähigkeit ausgestattet hat, schnell den Charakter eines noch fremden Menschen einzuschätzen. (Die Evolution brauchte das vermutlich auch nicht, weil unsere Vorfahren 400.000 Jahre in recht stabilen Stammesgesellschaften lebten, bei denen nicht jede Woche ein neuer Kollege oder ein neuer Kunde zur Tür hereinkam.) Sondern, im Unterschied z. B. zum Fliegen, sind wir uns dieser Unfähigkeit nicht bewusst.
/5/ In Silvers Buch vor allem Seiten 69 bis 82.
/6/ Selbstsichere Menschen, die den Eindruck von Stärke vermitteln, üben eine starke Anziehungskraft aus. Vgl. Newsletter delanceyplace.com :Compelling People, Ausgabe vom 9. Dezember 2013.

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