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Agil im Vertrieb - Wie soll das gehen?

Kürzlich unterhielt ich mich mit meinem Kollegen, Thomas Brinkmann, über das Thema Agilität im Vertrieb. Hier das Gespräch.

 

Lieber Thomas, agile Arbeitsweisen wurden ursprünglich für die Entwicklung von Produkten entwickelt. Einer deiner Schwerpunkte ist aber der agile Vertrieb. Wie passt das zusammen? 

Wer sich mit Agilität befasst, wird erkennen, dass es im Grunde genommen keinen Bereich, keine Branche und kein Unternehmen gibt, zu denen agile Arbeitsweisen nicht passen würden. Bei mir fing alles damit an, als ich 2011 die Führung eines Außendienst-Teams übernahm. Damals haben sich die Veränderungen unserer Arbeits- und Vorgehensweise hin zu agilerem Arbeiten quasi aus der Herausforderung heraus definiert und von selbst auf die Agenda geschrieben.

Bis dahin hatte ich noch nie etwas von agilen Arbeitsweisen gehört. Sicher war ich mir nur, dass wir mit den bisherigen Vorgehensweisen und unserer Haltung zu Kunden, zum Marktumfeld und wie wir miteinander umgehen, nicht so weiterkommen werden, wie wir uns das selbst gewünscht haben und es auch von uns erwartet wurde.

In einem guten und konstruktiven Dialog mit der Geschäftsführung holte ich mir die Rückendeckung dafür, mit meinem Team neue und andere Wege auszuprobieren. Und das haben wir dann auch gemacht. Schritt für Schritt hin zu Selbstorganisation, gemeinsamen Lernen, Beseitigung von leistungshemmenden Störungen. Weg von den alles könnenden Einzelkämpfern und hin zu echter Teamarbeit, die die Zusammenarbeit betont und dafür die Stärken und das Know-How des Einzelnen fördert. Das war eine spannende Zeit.

Ich habe mich ganz einfach meines gesunden Menschenverstandes bedient und erst viel später mitbekommen, dass ich vieles von dem gemacht habe, was man in anderen Teilen der Welt Agilität nennt. Und das beantwortet vielleicht deine Eingangsfrage: Das passt insofern zusammen, als dass Agilität aus meiner Sicht heißt, sich seines Verstandes zu bedienen. Das kann niemals falsch sein. Nur gesund sollte er halt sein! 

Du sagst, dass agile Arbeitsweisen in allen Unternehmensbereichen passen. Aber stimmt das wirklich? Gerade im Vertrieb wird doch traditionell sehr anders gearbeitet. 

Ja, nach wie vor ist es weit verbreitet, zum Beispiel einen relativ hohen Anteil des Einkommens variabel zu gestalten und einen internen Wettbewerb zwischen den Vertrieblern anzuheizen. Unter Motivationsgesichtspunkten ein sich fortsetzender Supergau. Der Umstand, dass im Vertrieb traditionell sehr anders gearbeitet wird, taugt nicht als Beleg dafür, dass es auch richtig ist, daran festzuhalten. Seit den 90er Jahren wissen wir doch schon, wie verheerend sich Incentivierungssysteme auf die Motivation der Leute auswirken. Sie lenken den Fokus weg vom Kundennutzen und hin zum Eigennutz.

Ein Blick in die Finanz- und Versicherungswirtschaft reicht aus, um die verheerenden Auswirkungen dieser Handlungsweisen auf das Vertrauen der Kunden in die Unternehmen zu begutachten. Der Verfall der Reputation und die wirtschaftlichen Schieflagen sind allenthalben zu beobachten. Und wer dafür "Hard Facts" braucht, um das erkennen zu können, muss nur den aktuellen Börsenwert der Deutschen Bank mit dem von Wirecard vergleichen. Besser lässt sich verloren gegangenes Vertrauen nicht dokumentieren.

Mit agilen Arbeitsweisen rückt die Fokussierung auf den Kundennutzen wieder in den Vordergrund. Der eigene Unternehmenserfolg wird mit dem Erfolg und der Wertschöpfung des Kunden verknüpft. Apple ist nicht nur deswegen so erfolgreich, weil sie die besten Verkäufer beschäftigen oder ein überzeugendes Marketing praktizieren, sondern vor allem, weil sie ihren Kunden eine einzigartige Customer Experience bieten. Sie rücken das unverwechselbare Erlebnis für den Kunden in den Mittelpunkt.

Agile Arbeitsweisen speziell im Vertrieb gehen einher mit der Entwicklung stabiler und robuster Kundenbeziehungen. Agile Werte und Prinzipien zu leben führt auf direktem Weg dazu, dass sich der Nutzen für den Kunden in beiderseitigem wirtschaftlichen Erfolg niederschlägt. Denn Agilität hilft Unternehmen dabei, sich dem Kunden anzupassen und schnell und flexibel auf Veränderungen im Markt zu reagieren. Und wir wissen aus der Evolutionsforschung, das nicht die Schnellsten, Größten oder Stärksten überleben. Sondern die Anpassungsfähigsten.

Was heißt all das konkret? Wie darf ich mir den agilen Vertrieb vorstellen? Was wird da anders gemacht als in „klassischen“ Vertriebsorganisationen? 

Zunächst werden die Meetings anders gestaltet. Der Vertriebsleiter kommt nicht mehr regelmäßig eingeflogen, um quasi in einer One-Man-Show die Parole für die nächsten Wochen zu verkünden. Das "Management-By-Helicopter", also viel Staub aufwirbeln und gleich wieder verschwinden, wird abgeschafft.

Es ist wichtig, dass Führung und Team gemeinsam und permanent daran arbeiten, was – im Sinne der Ziele und der Strategie - besser zu machen ist. Immer und immer wieder stellen wir uns also die Frage: Was können wir– gemeinsam – tun, um ein Stück erfolgreicher, besser zu werden? Dafür muss jeder um die Stärken des anderen wissen. Nur so hat das Team die Möglichkeit, die Arbeit so aufzuteilen, dass die Stärken des Einzelnen auch zur Geltung kommen. Die Führungskraft stellt lediglich dar, was in welchem Bereich, vielleicht auch bei einzelnen Kunden oder Produkten erreicht werden soll. Bei der Frage, wie das Team das erreicht, hält sie sich zurück – zumindest erst einmal.

In Vertriebs-Teams haben sich oft große und vielfältige Vorbehalte aufgebaut, die einer guten Arbeit allgemein, und einer agilen sowieso, im Weg stehen: Unzufriedenheit mit der Ausrichtung der Strategie, die Produkte sind nicht gut genug, die Unterstützung von anderen Abteilungen fehlt, der Druck wird künstlich hoch gehalten usw. Da ist oft viel Frust und Misstrauen im Spiel. Das ist im Übrigen – so ehrlich darf man ruhig mal sein – nicht immer unbegründet.

Das ist natürlich eine ungute Situation, um die wir uns kümmern müssen. Denn sie lenkt uns davon ab, unsere eigentliche Arbeit gut zu erledigen. Und das heißt, dass das Team sich immer wieder fragt: Was können wir selbst hinsichtlich der Ausrichtung auf unsere Kunden tun? Wie werden wir erfolgreicher? Wie setzen wir die identifizierten Verbesserungen Schritt für Schritt und zunächst aus eigener Kraft um?

Du setzt also – in agiler Manier – beim Team selbst und seinen Fähigkeiten an. Das aber kann ja nicht alleine alle Probleme selbst lösen. 

Natürlich reichen die oben genannten Maßnahmen im Team alleine nicht aus. Deswegen sind möglichst früh die Führungskräfte mit ins Boot zu holen. Schließlich haben sie sich im Agilen auch anders zu verhalten als bislang. Dass dem so ist und was das bedeutet, ist aber nicht jedem sofort klar. Also startet man einen guten, kritischen und dennoch konstruktiven Dialog darüber, welche quantitativen und qualitativen Vertriebsziele zu erreichen sind, warum das so ist und natürlich auch wie das am besten geschieht. Wer hat hier welche Aufgabe etc. Wenn man den SCRUM-Arbeitsrahmen zugrunde legt, schlüpft der Vertriebsleiter in dieser Phase zumindest zeitweise in die Rolle des Scrum-Masters, um leistungshemmende Störungen zu beseitigen, also den Weg frei zu machen.

Viel Wert sollte aus meiner Erfahrung heraus besonders darauf gelegt werden, wie wir voneinander lernen können. Dafür ist eine Umgebung zu schaffen, die es ermöglicht querzudenken, Mut zu haben, ungewöhnliche Wege zu gehen, jenseits klassischer Managementansätze zu agieren. Wenn man hier die Dinge richtig macht, sickert schon nach kurzer Zeit ins ganze Unternehmen, dass die da im Vertrieb irgendwie mehr Spaß haben, selbstbewusster agieren, mutiger auch unbequeme Wege gehen. Und die Vertriebserfolge lassen auch nicht lange auf sich warten.

Da werden einige Routinen des klassischen Vertriebs also auf den Kopf gestellt. 

Natürlich. Auch agile Vertriebsteams kommen nicht umhin, Veränderungen in der Organisation vorzunehmen. Gerade im Vertrieb ist dringend für Transparenz zu sorgen und Herrschaftswissen von KollegInnen und Vorgesetzten abzubauen. So gut es eben geht, aber doch beharrlich. (Um ehrlich zu sein, birgt speziell dieser Punkt einigermaßen viel Konfliktstoff. Denn gerade im Vertrieb gehört Geheimwissen zum unseligen unproduktiven, aber eben gängigen Machtspiel. Also gefällt die Idee der Offenheit im Vertrieb nicht jedem sofort gleich gut. Die Vorteile werden aber meist sehr schnell deutlich, also ist auch das halb so wild.)

Auch die Planung erfolgt verstärkt „bottom-up“ statt „top-down“. „Globale“ Wachstumserwartungen im Umsatzbudget werden nach Möglichkeit ganz gekappt. Denn die verursachen mindestens Missverständnisse, meisten auch noch starken Stress. Und im Stress sind wir nicht gut genug. Stattdessen machen wir im agilen Vertrieb ein realistisches Account-Planning. Und zwar durch oder zumindest unter starker Mitarbeit derjenigen, die sich beim Kunden am besten auskennen: Den zuständigen VertrieblerInnen.

Du siehst, es geht um eine deutliche Ausweitung der Spielräume, um nicht nur im Kundengespräch auf Augenhöhe zu bleiben, sondern auch im innerbetrieblichen Verhältnis. Auch der agile Vertrieb setzt eben auf Vertrauen statt auf Kontrolle. Wobei mir auch wichtig ist zu erwähnen – das kommt für mich manchmal bei der agilen Euphorie etwas zu kurz -, dass alle hier genannten Entscheidungen auf einer soliden Datenbasis zu erfolgen haben. Um subjektive Meinungen zu relativieren. Es geht darum, realistisch zu sehen, was möglich ist und was nicht. Wir bringen das zweifellos wichtige Bauchgefühl mit relevanten Daten zusammen.

Dreh- und Angelpunkt beim agilen Vertrieb ist sicherlich, dass wir uns grundsätzlich respektvoll, wertschätzend und vertrauensvoll begegnen. Leistung entfaltet sich auch in diesem Bereich am wirkungsvollsten, wenn Menschen angstfrei arbeiten können. Wenn Ziele ambitioniert und erreichbar sind und gleichzeitig Sinn ergeben.

Das hört sich nach einem ziemlich starken Wandel mit viel Konfliktpotenzial an. Lohnt sich denn der Aufwand? 

Ohne jeden Zweifel! Doch ist der Aufwand, Lösungen für diese Konflikte zu finden, um so viel kleiner als wenn wir dauerhaft an den Problemen rumwerkeln, die sich aus unserem bisherigen Tun immer und immer wieder ergeben. Außerdem macht es schlicht auch mehr Spaß, Menschen für etwas Sinnvolles zu begeistern und gemeinsam andere und neue Wege zu gehen, als die Wiederkehr des immer gleichen unguten, dysfunktionalen Ziehen und Zerren zu managen.

Und dann sprechen die Ergebnisse auch für sich. Mein Team z.B. setzte sich damals regelmäßig mit einem deutlichen Wachstum von einem Markt ab, der Jahr für Jahr geschrumpft war. Mit unserer agilen Vertriebsarbeit haben wir uns Schritt für Schritt einen immer größeren Marktanteil erobert.

Für mich steht fest: Statt weiterhin Deck-Chairs neu zu arrangieren und darauf zu hoffen, dass es schon irgendwie gut gehen wird, ist es schlauer, peu à peu den anderen und neuen Weg zu gehen. Dafür braucht es weniger den detaillierten Masterplan. Sondern vielmehr ein sinnvolles Ziel vor Augen und Mut, einen guten gemeinsamen Weg zu finden. Konflikte sind dabei völlig normal. Die sollte man nicht scheuen.

Zum Abschluss: Was ist dein Tipp für Vertriebs-Teams, die sich aufmachen wollen, die Dinge agiler anzugehen? 

Kennst du den: Ein Mann im schwarzen Anzug mit einem Geigenkasten unter dem Arm irrt durch den Grand Central Station und fragt einen Passanten: „Wie komme ich in die Carnegie Hall?“ Der Mann antwortet ihm: „Üben, üben, üben…“

Spaß beiseite: In erster Linie wäre gut, Agilität nicht nur als Methode, Tool oder Handwerkszeug anzusehen. Diese Methodik kann uns zwar ohne Zweifel beim Einstieg helfen und das sollten wir auch nutzen. Dennoch ist Agilität eben vielmehr eine Haltung. Es ist eine Einstellung zur Arbeit, zu Kunden und zu sich selbst. Wenn man das verinnerlicht, dann wird das schon. Agil arbeiten kann wirklich jeder und das auch sehr schnell. Denn es ist sehr intuitiv. Den meisten wurde das nur durch Schule, Ausbildung und Strukturen an ihren Arbeitsplätzen abtrainiert.


Thomas Brinkmann ist Agile Coach und Organisationsentwickler mit den Schwerpunkten agiler Vertrieb, Selbstmanagement und Teamentwicklung. Mehr auf XING und LinkedIn.


Hier finden Sie alle Artikel von Edgar Rodehack.

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